Thank you for nothing!

erschienen in:  Wespennest. Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder No. 177, S. 108-109


Der Balkan, das ist ein Hort wilder Leidenschaften, den man jetzt wieder zu bereisen beginnt. Wo dieser imaginär aufgeladene Dark Continent auf der Landkarte liegt, den das Licht des aufgeklärten Fortschritts mit dem im März 1999 einsetzenden NATO-Bombardement bestenfalls gestreift hat, herrscht bis heute keine Einigkeit. Noch vor dem Zusammenbruch der UdSSR situierte man den vormals multiethnischen, sozialistischen Staatenverbund Jugoslawiens gerne an den Peripherien Osteuropas, Teile des Territoriums rückten entlang der Ost-West-Achse nur ein kleines Stück weit weg von dem, was man von Übersee aus als sowjetisches Erweiterungsgebiet betrachtete. Im Comic hingegen waren die Grenzverläufe immer schon andere, von innen her betrachtet war der Balkan blockfrei. 1997 präsentierte das bis heute zweimal jährlich in Ljubljana erscheinende Independent-Magazin Stripburger eine der ersten europäischen Comic-Anthologien mit Strips aus Serbien, Kroatien, Bosnien und Slowenien, an den Erfolg der frühen Positionsbestimmung knüpften die Herausgeber_innen mit dem Heft Stripburek – Comics from the other Europe 2001 an. Darin rostet der Eiserne Vorhang fröhlich vor sich hin, die Schönheit dieser Grenze ist eine von Ruinen – mit vielfältigen Formen einer autonomen Selbstdefinition abseits davon.

Jener Osten, von dem die zuletzt mit ihren autofiktionalen Mémoires reüssierende Comic-Autorin Nina Bunjevac erzählt, beginnt mitten in Amerika und kennt weder nostalgische noch sentimentalische Reminiszenzen. Die 1973 in Kanada geborene Zeichnerin, die es zwischendurch zurück an die Ðorde-Krstic-Kunstschule ins serbische Niš zog, ist spätestens seit dem Erscheinen ihrer Graphic Novel Vaterland (2014) ein kleiner Star der internationalen Comicszene. Nicht in Übersee, sondern in Jugoslawien hat sie ihren ersten Comic gelesen. Er kam aus Italien und war Teil der von Luciano Secchi (als Max Bunker) und Roberto Raviola (als Magnus) herausgegebenen Serie Alan Ford, die das Leben einer Handvoll ausrangierter Agenten in New York parodiert. Inspiriert von diesen Figuren zeichnete Nina, zurück in Toronto, 2004 ihren ersten, eigenen Comic. Heartless ist eine Kollektion ausgewählter Arbeiten, die durch narrative und stilistische Kompromisslosigkeit bestechen. Ungeschönt erzählt die Autorin darin von Auswanderungsversuchen, die mit dem Ankommen im immer Gleichen enden und von amerikanischen Träumen, die zerplatzen wie zu große Sprechblasen.

Die markanteste Figur aus Heartless ist Zorka Petrovic, eine in die Jahre gekommene Cat Woman mit Clownsgesicht, deren aufgestellte Ohrläppchen manchmal so aussehen wie die ausgedünnten Ovale einer melancholischen Mickey Mouse. In der Episode «Bitter Tears of Zorka Petrovic» weint sie die Tränen eines Rainer Werner Fassbinder und macht aus dem geborgten Melodram des bayrischen Enfant terrible eine tabletten- und alkoholschwangere Suche nach der verlorenen Zeit. Im fiktiven Fantasy-Club Exotica führt ein Revolverheld in Cowboyhosen Zorka vor, was «True Love» ist und vergewaltigt sie auf einer der Toiletten im Hinterhof. Der Ort des Verbrechens verweist auf den gleichnamigen Nachtclub aus Atom Egoyans Exotica, dessen zeitweise ins Komplizenhafte kippendes Blickregime Bunjevac mit einer anderen Radikalität kontert. Zorka, die vergeblich nach ihrem Prinzen sucht, findet sich am Ende auf dem Gynäkolog_innen-Stuhl wieder und kann erst drei Wochen nach ihrer Abtreibung wieder ans Telefon gehen – diesmal, um den von ihrer Schwester Mirka als potenziellen Heiratskandidaten vorgeschlagenen Milan zu kontaktieren, der ihr als «wife-beater and a rapist» (80) vorgestellt wurde.

Ob Bunjevac auch die letzte und stilistisch bereits auf Vaterland verweisende Episode aus Heartless, «Opportunity Presents Itself», als Fortsetzung jener vermeintlichen Amour fou verstanden wissen will, die mit der personifizierten Darstellung der vielen Möglichkeiten beginnt, bleibt offen. Darin wird die junge Emigrantin Selma durch ihren amerikanischen Onkel als billige Arbeitskraft in Privathaushalte vermittelt. Die Arbeit, die in «August 1977» verrichtet wird, ist ebenso eine Labour of Love. Ein Comic-Körperdouble von Charlotte Rampling, aus Liliana Cavanis Il portiere di notte noch bekannt, tanzt darin mit einer ansonsten nur den Hohepriestern der serbisch-orthodoxen Kirche vorbehaltenen Kopfbedeckung auf einer Kundgebung von antiziganistisch und homophob eingestellten Nationalisten. Die klerikale Tarnkappe rutscht der Protagonist_in im nächsten Bild jedoch so tief ins Gesicht, dass sie taub, stumm und blind wird. Dann explodiert eine Bombe. Auch der im Kommentartext adressierte Vater, der sie gebaut hat, stand auf der falschen Seite. Mit ihren Existenzen werden auch die Körper der ausgewanderten Töchter prekär. «Thanks for Nothing» (35) ist Nina Bunjevacs souveräne Antwort auf ihre Unterjochung – auch im Sinne eines letztmöglichen Talking Back unter völlig fremdbestimmten Verhältnissen.

Bunjevac, Osteuropa




Nina Bunjevac: Heartless Greenwich, Nova Scotia: Conundrum Press 2012