Comic-Kolumne
Im Schlagschatten einer Zündholzschachtel
erschienen in: Wespennest. Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder No. 175, S. 108-109
„Parasit sein heißt: bei jemandem speisen“, schreibt der Philosoph Michel Serres in Der Parasit von
1981. Ausgangspunkt seiner zwischen Epistemologie und Poesie changierenden
Theorie ist eine Figur, die sich rücksichtslos von anderen ernährt.
Sie tut dies stets in verschiedenen Formationen und über alle
Zustandsänderungen hinweg: als schwaches Rauschen, das sich störend zwischen
Sender und Empfänger schiebt, als mikroskopisch kleines Tier, von dessen
Existenz erst eine Lupe überzeugt und als Mensch, der auf unscheinbare
Weise zur Laus des Menschen werden kann. Klandestin schleicht sich Serres’
Parasit ein in mediale Kanäle, befällt Organe oder wird unverhofft zum Dauergast.
Als schmarotzende Art ist er jedem Gewebe immanent und bleibt doch ein
Fremdkörper – egal, ob im Text oder im Textil.
Von parasitären Strategien
und ihren diskursiven Verflechtungen handelt auch Brigitta Falkners Strategien
der Wirtsfindung von 2017. Egal ob inmitten zivilisatorischer Altlasten
oder einem Korb voll schmutziger Wäsche – auf Parasiten zeigen will die Wiener Autorin
in und mit ihrem Werk ebenso wenig wie von ihnen erzählen. Stattdessen zapft Falkner
Diskurse aus Biologie, Philosophie und Metaphysik an, um sie sich
einzuverleiben, speist Artfremdes ein in ihr immer dichter werdendes Netz aus
Worten und Bildern. Generisches Material ihrer Collagen sind Zeichnungen und
Gedichte aus eigener Züchtung, mal umrankt, mal überwuchert von den Zitaten der
anderen. Wer hier von wessen Worten zehrt, bleibt unklar. So etwa nimmt im
ersten Abschnitt einer insgesamt zehnteiligen Forschungsreise in die
Mikrowelten von Staubmilbe und Fadenwurm ein farbloser Geheimrat auf einem ebenso
farblosen Canapé Platz. Kein geringerer als Goethe selbst okkupiert dort das Interieur
einer Autorin, die sich von des Dichters Botenstoffen nur bedingt locken lässt.
Aus ihrer Sicht ist seine Sitzgelegenheit von größerem Interesse: „Ein
erfülltes Milbenleben. Rückblende: Kissen. Vier Wände. Ein Bett. Kein Plot.
Stattdessen: Fressen ohne Ende auf sicherem Gelände“ (10).
Wenn Falkner den Leser_innen Einblicke in das Leben parasitärer Organismen gewährt,
dann lädt ihr Blick nicht unbedingt zum Verweilen ein. Er versperrt sich den Dingen, weil er zu
tief an ihrer Oberfläche kratzt, offenbart absurde Details, die – ähnlich
wie in Charles Burns Black Hole – ihre eigene Sogwirkung entfalten. Ihre
kontrastreichen Tuschezeichnungen fügen sich nicht ein in die narrativen Muster
einer Graphic Novel, selbst dann nicht, wenn Farbdrucke ihre Sporen
vervielfältigen. Durch Lupen und Okulare gerahmt, gleichen die Bilder Augenblicksansammlungen,
die kontingent und unverbunden keiner kausalen Logik unterstehen. Hier wird
nicht erzählt, hier wird im Zickzack-Kurs hin- und hergesprungen, werden
Perspektiven variiert und Verhältnisse verkehrt. Im Dickicht der Textur müssen
die Leser_innen ihre eigenen Pfade finden – oder, wie es in Rekurs auf eine Redensart
auf Seite 72 heißt – sich den Wurm rechtzeitig aus der Nase ziehen; andernfalls
werden sie im Folgebild davon nicht einmal mehr den Fort-Satz erkennen. Befreiung
vom akuten Befall verspricht auch nicht der zehnseitige Appendix. Am Ende des
Buches gibt Falkner kein Geheimnis preis, sondern fängt mit dem Verwirrspiel von
vorne an. Strategien der Wirtsfindung tarnt sich dort als winzige
Zündholzschachtel mit beiseite geschobenem Deckel; wer diesen nicht beizeiten
schließt, wird ein zweites Mal zur Pandora eines Buches, das trickst und
täuscht – auch durch die Vermeidung von Schlagschatten.
Irgendwo zwischen Tiefgang
und Abgang, in unmittelbarer Nähe von schlichten Schlapfen und einfachen
Fichtenzapfen, fängt Falkners Referenzgewirr zu wuchern an. Unterwegs sammelt
die Autorin auch partes pro toto ein, die bei der Menschwerdung verloren gingen.
„Ist nicht das Insect das noch los schwebende Auge des Menschen, ist nicht die
Schneke seine noch abgetrennte Hand, der Vogel sein werdendes Ohr und so fort“
(93), heißt es etwa in einem durch herumliegende Körperteile illustrierten Zitat
aus Lorenz Okens Abriß des Systems der Biologie von 1805. Wie gut Sprachphilosophisches
neben Entomologischem und Taxonomisches neben Poetologischem gedeiht, beweist
Falkner auch an anderen Stellen ihrer metafiktionalen Enzyklopädie. Dort, wo
Meeresboden und Weltraum auf ein- und derselben Fläche miteinander kollidieren,
beruft sie sich etwa auf Fritz Mauthners Ontologie möglicher Welten. Am Anfang
ihrer Ordnung stehen nicht Maßstab und Statistik, sondern Rebus und Relation. Ein
Bilderrätsel, das in Falkners Büchern immer wieder auftaucht, handelt deshalb
auch vom langsamen Verschwinden der Buchstaben. Anders als erwartet, wird das Bild
einer Ameise darin zu einem Zeichen in einer Signifikantenkette – Tarnung der
Worte, Täuschung der Bilder oder doch die perfekte Mimikry? Die Möglichkeit
einer friedlichen Koexistenz zwischen Medien stellt Falkner keineswegs in
Abrede. Ihr Zauberwort heißt Symbiose.
Brigitta Falkner: Strategien der Wirtsfindung Berlin: Matthes & Seitz 2017