Miscellaneous
„Wo der Unsinn herrscht, wird der Stachel sein“
Ein Nachruf auf Marianne Fritz *
Am 1. Oktober 2007 ist die österreichische Autorin Marianne Fritz verstorben. Nur 59 geworden, haben die Umstände ihres Schreibens zu diesem frühen Tod beigetragen. Zur Vollendung des dreiteilig angelegten Schreibprojekts „Naturgemäß“ ist es nicht mehr gekommen.
Entweder-Oder
„Es kann nicht lösen der Mensch: das Entweder-Oder-Problem; und das an sich nicht! Das ist es! Und nur das! Nicht will es dem Menschen gestatten, fortzufliegen und irgendwie halt so hinein: in die Möglichkeit an sich, die da genannt: das Unendliche einerseits und die Ewigkeit andererseits" (Marianne Fritz). Die Theatergruppe Fritzpunkt hat die Todesnachricht noch am selben Tag mit diesem Zitat übermittelt. Gründe, um dem Vergessenwerden von Marianne Fritz entgegenzuwirken, gibt es einige: Soziale Ungleichheit, Benachteiligung und Deklassiertheit waren Themen ihres Schreibens, das, wovon in den Geschichtsbüchern nicht zu lesen ist, fügte sie hinzu. Historische Romane sind es dennoch nicht, die Marianne Fritz ihren Leser_innen hinterlässt; vielmehr handelt es sich um schwer zugängliche, erratische Blöcke. Ihre „Nichtgeschichte, die trotzdem war" ist aus löchrigen Lebensläufen geflickt, die dazugehörigen Dokumente lagerten jahrzehntelang im Privatarchiv.
Sinn und Unsinn
Es war nicht die politische Alltagsidiotie, die Marianne Fritz mit ihrem Schreiben bis zum Exzess wiederholte, nicht die Phrasendresche, die die Jelineks und Turrinis dieser Republik auf nahezu staatstragende Weise repetieren; stattdessen arbeitete Fritz an einer Sprache, die sich dem Unverständlichen infinitesimal annähert – eine Sprache, die sich dem Verstehen entzieht und dennoch Sinn im Sinnlosen stiftet. Mitten im Absurden findet man semantische Brocken vor, bezeichnend bereits für Fritz’ Debüt: Der erste Teil des Zyklus „Dessen Sprache du nicht verstehst" erschien 1985 und handelt von der Geschichte der Arbeiter_innenfamilie Null am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Der Sohn der Familie, Johannes Null, verweigert den Militärdienst, der Anfang vom Ende beginnt. „Dessen Sprache du nicht verstehst“ war Teil des Großprojekts „Die Festung“, gebaut aus vier Teilen. Allein der Titel verspricht keine leicht konsumierbare Literatur, an Fritz’ Texten muss man sich abarbeiten, sie erschließen sich erst nach und nach – oder, in den Worten der Autorin, in „einem Anflug von einem hüpfenden Buchstaben“.
Endliches und Unendliches
Schwer zugänglich sind nicht nur Fritz’ Schriften, auch die Person dahinter ließ sich in der literarischen Öffentlichkeit kaum blicken. Sie war keine der Kultur–betriebsnudeln oder Literatur-Miezen, die die einschlägigen Stätten aufdringlich besiedeln, sie wollte nicht fotografiert, porträtiert oder auf andere Weise ins Scheinwerferlicht gerückt werden. Zum Schreiben hatte Fritz sich fast vollständig zurückgezogen, dazu gekommen war sie über die für eine ganze Generation von österreichischen Autor_innen so bezeichnenden Umwege: 1948 als Kind bescheidener Verhältnisse in der steirischen Provinz geboren, absolvierte Fritz zuerst eine Lehre, bis zu ihrem 1978 mit dem Robert-Walser-Preis prämierten Debüt „Die Schwerkraft der Verhältnisse“ verdiente sie ihren Lebensunterhalt in kaufmännischen Berufen. Ähnlich wie andere Abkömmlinge der Ära Kreisky, die klein anfingen, schrieb Fritz am zweiten Bildungsweg; 1977 zog sie nach Wien, wo sie bis zu ihrem Tod lebte. Ihre Grabinschrift hat sie selbst verfasst: „Fortzufliegen…in die Möglichkeit an sich“ – einen schöneren Tod kann es kaum geben.