Interviews
"Die (Re)public verqueeren"
Ein Gespräch mit The Queering Yerevan Collective (QY)*
Seit mehr als acht Jahren
beschäftigt sich das in der armenischen Hauptstadt Jerewan gegründete Künstler*innen-Kollektiv
Queering Yerevan (QY) mit Verschiebungen und Verwerfungen im Zuge postkommunistischer
Transformationsprozesse. Die Aktivist*innen, die unter dem Deckmantel einer
kollektiven Identität agieren, sprachen mit Barbara Eder über Interventionen im
öffentlichen Raum und ihr Konzept zur Verqueerung einer noch jungen und von
allfälligen Nationalisierungstendenzen keineswegs freien Kaukasus-Republik.
Wie ist The Queering Yerevan Collective entstanden?
Das Kollektiv entstand 2007 als
lose Vereinigung von Künstler*innen, Schriftsteller*innen,
Kulturkritiker*innen und Aktivist*innen in Jerewan und agiert seither unter
unterschiedlichen Bezeichnungen. Die armenische Hauptstadt wird als experimenteller
Raum für künstlerische Interventionen zur Verqueerung, Unter–wanderung und
Neuverortung der Stadt verstanden. Von Beginn an sahen wir es als unsere
Aufgabe, durch Formen der Befremdung des ,Eigenen’ konventionelle Parameter der
Wahrnehmung in Frage zu stellen. Von anderen Formen des künstlerischen
Interventionismus unterscheidet sich der Schräglagen-Aktivismus (slant activism)
von QY dadurch, dass es nicht darum geht, Botschaften direkt zu
übermitteln.
Unser erstes Happening trug den Titel Coming To You To Not Be
With You und fand 2008 in einem Garten in der Zarubyan Straße statt. Dieser
Ort wurde zu einem Platz für künftige Veranstaltungen. Den Garten, den sich
zwei NGOs – das Women’s Resource Center und das Utopiana Cultural
Center – teilen, haben wir vorübergehend zu einem Ort für öffentliche
Diskussionen und Kunst-Aktionen gemacht. 2011 erschien das erste Buch von QY
mit dem Titel Queered: What’s To Be Done With Xcentric Art, das eine
Dokumentation unseres bisherigen Schaffens beinhaltet. Darin sind Fotografien,
Texte, experimentelle Literaturen und Fragmente unseres Blogs sowie Auszüge aus
der Email-Korrespondenz der Jahre 2007-2011 enthalten. Derzeit arbeiten wir an
unserem neuen Buch mit dem Titel In and Between the (Re)public.
Was versteht ihr unter „queer"?
Wir benutzen diesen Begriff
nicht, um damit etwas zu etikettieren; wir verwenden „queer" nicht nominal oder
adjektivisch, sondern eher als Verb im Sinne von „etwas verqueeren“, was auch
mit einer Befremdung von Eigentum oder Eigentums–verhältnissen zu tun hat.
Folglich kann jede/r etwas verqueeren, jede/r
kann das Vertraute oder das „zur Familie gehörige“ (the familiar)
unterwandern, Normen außer Kraft setzen und dadurch bekannte Wahrnehmungsmuster
verändern. Im Armenischen nennen wir das tarorinakel –
ein Verb, das es eigentlich nicht gibt und das von tarorinak
(seltsam) abgeleitet ist. Es geht mehr um das „Tun“ und nicht so sehr um das „Sein“.
In heteronormativen Gesellschaften – wie etwa
Armenien, Österreich und anderen – ist es oftmals weniger riskant,
queere Themen über den Umweg der Kunst zu thematisieren. Gibt es für euch eine
scharfe Trennlinie zwischen politischem Aktivismus und Formen der
künstlerischen Intervention?
Anonymität und Unsichtbarkeit sind
Strategien, die hier tatsächlich mehr ermöglichen als direkte Formen des
politischen Aktivismus. Wir wollen nicht in der Anonymität verschwinden; sehr
oft wenden wir uns jedoch in einer Art und Weise an die Öffentlichkeit, die das
Unsichtbar-Bleiben notwendig macht – so etwa mit Graffiti.
Im Rahmen unseres letzten Projekts haben wir Schablonen von Gedichtzeilen der sozialistischen,
feministischen Dichterin Shushanik Kurghinian (1876-1927) angefertigt
und diese in Eingängen von Gebäuden besprüht. Häuserschwellen sind weder öffentliche
noch private Räume – Flure, Treppenhäuser, Korridore und
Gänge sind transitorische Räume am Übergang zwischen Öffentlichem und Privatem.
Wenn etwa jemand mit seinem Kind am Morgen zur Schule geht, kann sie/er die
folgende Zeile am Eingang eines Gebäudes lesen: „Ich
bin die/der, die/der heiter und rebellisch bei Dir geblieben
ist!“ Jemand, die/der vielleicht gerade von der Arbeit zurückkommt, findet dort
die folgende Botschaft vor: „Eine verfluchte Generation, immer noch kriechend
in Knechtschaft!“ Diese Worte erscheinen plötzlich an
unterschiedlichen Orten, sie wurden aus dem Kontext gerissen und richten sich an
alle Bürger*innen. In diesem Fall ist Anonymität überlebenswichtig: wir können
damit den Vorwurf der „Beschädigung von Privateigentum“ abwenden. Lana
Wachowski hat es einmal wie folgt ausgedrückt: „Anonymität ermöglicht einen
Zugriff auf den öffentlichen Raum sowie eine Form der Partizipation am
öffentlichen Leben über den Umweg einer egalitären Unsichtbarkeit.“
Was macht eure Arbeiten „queer"?
Zu Beginn unserer Arbeit waren
wir sehr darauf aus, Heteronormativität zu verqueeren und Räume für die
nicht-heteronormative Community zu schaffen; QY hat sich jedoch zunehmend von
Konzepten wie jenen der Individualität, des Out-of-the-Closet-Seins und
der Sichtbarkeit zugunsten von Strategien verabschiedet, die sich an alle richten.
Dennoch war es für uns wichtig, durch einen Prozess der Identitätsfindung hindurchzugehen
und eine Community zu entdecken, die durch Gesetze,
Traditionen, Familien, Sitten und Religionen zum Schweigen gebracht wurde.
Wir erkunden dies unter anderem
im Rahmen unserer Beschäftigung mit dem Thema der Migration: QY begreift Migration als
physische sowie als kognitive Bewegung von einer bekannten Realität
hin zu einer veränderten, von einer territorial verorteten Gemeinschaft hin zu einer imaginären.
Ist das Verlassen eines vertrauten Ortes heute ebenso fröhlich verwirrend oder bedrohlich
entfremdend wie ein Jahrzehnt früher, als Akteur*innen ,dissidenter’ Ideologien
in einem von Russland kolonialisierten Sowjet-Armenien die Grundrisse ihrer
Wohnungen gegen die Landkarten der Erde eintauschen mussten? Was passiert mit
den Trümmern, die man hinterlässt? Könnte es sein, dass die dort zurückgelassenen Dinge das
Heimweh der Zukunft bedingen?
Im Rahmen eurer Aktionen geht es auch um die
Rückeroberung des öffentlichen Raumes. In welcher Verbindung
steht dies mit der letzten Aktion In and Between the (Re)public?
Unter (Re)public verstehen wir
ein Konstrukt in der Übergangsphase von Kommunismus zu Postkommunismus, das in
engem Zusammenhang mit den neuen, unbbhängigen Nationalstaaten nach dem
Zerfall der Sowjetunion steht. Wer oder was aber ist
diese Öffentlichkeit, auf die die (Re)public sich stützt? Die Historiker*in Joan Landes
greift beispielsweise auf die etymologische
Verbindung zwischen den englischen Worten für Öffentlichkeit (public)
und für den Genitalbereich (pubic) zurück, um die geschlechtsspezifischen
Konnotationen – Öffentlichkeit ist nur für jene Subjekte bestimmt, die sich durch genitales
Eigentum qualifizieren – dieses Begriffs plausibel zu machen.
Ist das Private aber nicht längst Bestandteil jener aggressiven
Formen von Privatisierung, die in der ,neuen’ (Re)public Armenia stattfinden?
Jede Konnotation von Öffentlichkeit wird bedeutungslos, wenn Oligarch*innen sich
sämtliche Commons aneignen, es erzwungene Massenmigration infolge einer
noch nie da gewesenen Erwerbslosigkeit gibt und alle aus der Bevölkerung
kommenden Stimmen des Widerstandes zum Verstummen gebracht werden. (R-e)-p-u-b-l-i-c-s entstehen zudem immer zwischen
Sprachen, was eher trennt als verbindet, eher befremdet statt heimisch macht. Wie
also können wir in diesem „neuen“ Zeitalter von „Republicanism“ und „Democratization”
die speziellen Auswirkungen auf Körper, Sprache, Erinnerung und den affektiven
Bereich (virtueller) Verkörperungen von Zwischenzonen (inbetweenness)
verhandeln? Wie können Öffentlichkeiten sich in Räume einschreiben und deren
bisherige Konnotationen überschreiben?
Eine unserer Aktionen im Rahmen des Projekts In and Between the (Re)public bestand in der Bepflanzung eines Parks in der Baghramyan Avenue, der sich zwischen dem Präsident*innen-Palast, dem Haus der Dichterin Silva Kaputikyan und dem Lovers’ Park befindet. Dieser Park ist weder öffentlich noch privat. Neue Eigentümer*innen schneiden dort jedoch gerade Bäume um, bauen teure Cafés oder unerschwingliche Wohnanlagen auf Kosten jener, die dort lebten. Unsere Aufmerksamkeit war dabei auf jene Communities gerichtet, die den durch illegale Formen der Privatisierung voran getriebenen Gentrifizierungsprozess unterlaufen. Wir haben einen „Judas-Baum” gepflanzt – als Symbol für Verrat und Enttäuschung und zugleich als Akt der Wiederbesiedelung von sozialen Räumen, deren Bewohner*innen vertrieben wurden.
Informationen zur Arbeit von QY finden Sie hier
*in gekürzter Fassung unter dem Titel „Es geht mehr um das Tun“ erschienen in Jungle World Nr. 17, 24. April 2014,
aus dem Englischen von Barbara Eder