erschienen in: Wespennest. Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder No. 170, S. 104
Wenn es stimmt, dass
Comics strukturelle Parodien sind, dann dürfte es die zahllosen Stereotypen im
Bereich der visuellen sequenziellen Kunst nicht geben. Selbst wenn jedem Panel
infolge seiner Wiederholungsstruktur ein persiflierendes Potenzial innewohnt, stellt
sich der parodistische Effekt nicht immer ein. So etwa haben Hergé’s seit den
1930er Jahren in Fortsetzungsfolge erschienene Abenteuer des belgischen
Reporters Tim, der mit seinem Hund Struppi den Erdball vermisst, maßgeblich zur Plausibilisierung rassistischer und
(neo-)kolonialisierender Stereotypen beigetragen. Die auf formaler und
narrativer Ebene vorgenommene Gleichsetzung schwarzer Menschen mit Affen,
,Faulpelzen’ und zivilisationsfernen Stammesangehörigen, die weder Sprache noch
Kultur haben, brachte LeserInnen mit afrikanischen Wurzeln keineswegs zum
Lachen; stattdessen haben sie den kongolesischen Studenten Bienvenu Mbutu
Mondondo zu einer Klage vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
veranlasst, woraufhin die Episode Tim im Kongo aus britischen
Buchhandlungen verbannt und in Südafrika verboten wurde.
Die Geschichte der Graphic Novel ist – trotz medienimmanentem Surplus
– nicht frei von stereotypisierenden Bildern (post-)kolonialer Visibilität.
Umso voraussetzungsvoller wird es, mit ihren Mitteln eine andere Geschichte zu
erzählen. Im Fall von Marguerite Albouets und Clément Oubreries Aya ist
dieser Versuch mehr als nur gelungen. Die Heldin der ursprünglich in
französischer Sprache erschienenen Heftserie ist nicht einfach nur eine
schwarze Frau; Aya, die aus dem Abidjaner Stadtteil Yopougon, kurz Yop City,
kommt, trägt bereits im ersten Band Züge einer Feministin und will Ärztin
werden. Im zweiten Band der 2014 im Berliner Reprodukt Verlag in Buchformat
gebündelten Serie muss Aya das Medizinstudium gegen den Willen ihres Vaters
durchsetzen – und währenddessen viele Probleme lösen. Mit patriarchalen
Strukturen haben diese ebenso viel zu tun wie mit der in traditionelleren
Gesellschaften stark ausgeprägten Familienorientierung. So etwa muss Aya das
Dienstmädchen Félicité aus den Fängen ihres Vaters befreien, der sie – in
Reaktion auf ihren vermeintlichen ökonomischen Erfolg – entführt, um mit ihrem
Geld die Familie zu ernähren; zudem entgeht sie nur knapp der
Vergewaltigung durch ihren Biologie-Professor, der sie daraufhin vor ihrem
Freund Didier denunziert und ihr schlechte Noten gibt. Infolge der auch in
europäischen Hörsälen gängigen „SSB“ – einer von Ayas Freundin Bintou
erfundenen Abkürzung für „sexuell schwankende Benotung“ (52) – steht Ayas
Studium auf dem Spiel. Gemeinsam mit ihrer Studienkollegin Adjouva will sie für
Gerechtigkeit sorgen und den Professor verklagen.
Die Hinweise darauf,
dass die Heldin an den Umständen scheitern wird, sprechen –
trotz offenem Ende – für den Realitätssinn ihrer Erfinderin. Marguerite Albouet
zeichnet mit Aya zwar eine starke Hauptfigur; autark kann diese allein aufgrund
der Verhältnisse aber nicht sein: „Mein Leben ist nicht kompliziert, das wird’s erst
durch die anderen“ (121) muss sich die Protagonistin, am Kreuzungspunkt der Wünsche,
Begehrlichkeiten und Bedürftigkeiten einer ganzen Community, die in sie alle
Hoffnung setzt, bereits zur Mitte des Buches eingestehen. Am Ende fällt sie in
einen Erschöpfungszustand und erkrankt kurz darauf an Malaria. Daraus, dass der
Bildungsroman aus Yop City nicht einfach nur ein anderer, sondern ein
vielfach härterer ist, macht Marguerite Abouet kein Hehl. Die Autorin, die
selbst in Abidjan aufwuchs, emigrierte zu einem Zeitpunkt nach Frankreich, als
die begünstigenden Zuzugsbestimmungen für Bewohner/innen ehemaliger
französischer Kolonien noch galten. Sie kennt beide Realitäten – jene
Frankreichs und der Elfenbeinküste – und wiegelt sie dennoch nicht
gegeneinander auf. In einer der vielen, im Buch durch Wechsel in der
Farbgebung markierten Parallelhandlungen wird auch die Geschichte von Innocent
erzählt, der erst in Paris erkennen muss, dass die Grande Nation seiner
sexuellen Orientierung gegenüber ebenso beschränkte Toleranz praktiziert wie
seine ivorische Familie. Hier wie dort verliert er aufgrund seiner
Homosexualität Wohnung und Integrität.
Innocents Geschichte ist nur eine von vielen Nebenhandlungen, die, räumlich nacheinander
angeordnet, in Aya in zeitlicher Parallelität zueinander verlaufen. Es
ist nicht nur das dichte Nebeneinander der durch großformatige Einzelbilder
immer wieder in ihrem linearen Verlauf unterbrochenen Geschichten, durch das
diese Grafische Novelle besticht; mit den Mitteln der verfremdenden
Distanzierung wird das allzu bekannte Personal aus dem Inventar (neo-)kolonialer
Stereotypen – so etwa der geldgierige Voodoo-Zauberer und der böse Hexer –
nicht einfach nur persifliert, sondern als immer schon ver-rückte
Projektionsleistung der europäischen Anderen dargestellt.
Marguerite Albouet und Clément Oubrerie: Aya. Berlin: Reprodukt 2014
Dies.: Aya. Leben in Yop City. Berlin: Reprodukt 2014